Klare Worte (junge welt vom 25. September 2012)

24. September 2012  Meldungen

Gewerkschaftslinke geht bei bundesweitem Ratschlag mit Politik der DGB-Spitzen hart ins Gericht, spart aber auch nicht an Selbstkritik

Von Herbert Wulff, Frankfurt am Main

Bernd Riexinger ist ein Freund klarer Worte. Das hat sich offenbar auch durch die Übernahme des Chefpostens in der Linkspartei nicht geändert. Beim gewerkschaftspolitischen Ratschlag, zu dem am Wochenende mehr als 100 linke Aktivisten aus verschiedenen Einzelgewerkschaften in Frankfurt am Main zusammenkamen, übte Riexinger deutliche Kritik an den DGB-Spitzen. Der ehemalige Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer ging aber auch mit der von ihm mitgegründeten Gewerkschaftslinken hart ins Gericht. Diese müsse stärker »an den tatsächlichen Kämpfen in den Gewerkschaften und Betrieben anknüpfen«, forderte er.

»Die deutsche Gewerkschaftsbewegung ist trotz etwas besserer Tarif­abschlüsse weit davon entfernt, ihre strukturellen Probleme zu überwinden«, sagte Riexinger auf dem von der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG) gemeinsam mit der AG Betrieb und Gewerkschaft in der Partei Die Linke sowie anderen Gruppen organisierten Ratschlag. Die Reallöhne gingen weiterhin ebenso zurück wie die Tarifbindung, zugleich breiteten sich prekäre Arbeitsverhältnisse »krebsartig« aus. »Das hat eine dramatische Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu Folge. Die Regulierungsfähigkeit der Gewerkschaften bei Löhnen, Arbeitszeiten und -bedingungen hat deutlich abgenommen«, stellte der Linke-Vorsitzende fest. Von den Gewerkschaftsspitzen werde dieser »gigantischen Umverteilung von unten nach oben« zu wenig entgegengesetzt.

Das Problem liegt nach Riexingers Auffassung aber nicht allein in der Politik der Gewerkschaftsführung, sondern auch in der Schwäche der gewerkschaftlichen Linken. »Trotz der zunehmenden Widersprüche ist die Gewerkschaftslinke nicht stärker, sondern schwächer geworden«, bilanzierte er. Es sei in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die regionale und betriebliche Verankerung auszubauen. Zudem habe die Gewerkschaftslinke ein gravierendes Problem der Überalterung. Letzteres wurde beim Ratschlag durch die Teilnahme vergleichsweise vieler junger Aktivisten zumindest teilweise konterkariert. In der Tat hat die organisierte Gewerkschaftslinke in den vergangenen Jahren aber an Kraft und Einfluß verloren. 2003 hatte sie noch eine große Rolle dabei gespielt, gegen den Willen der DGB-Spitze 100000 Menschen zum Protest gegen die »Agenda 2010« nach Berlin zu mobilisieren. »Damals haben wir die Stimmung getroffen und ihr eine Plattform geboten«, meinte Riexinger. Heute sei die gewerkschaftliche Linke hingegen nur bei wenigen Themen »hegemoniefähig«.

Andere Teilnehmer bewerteten die eigene Rolle nicht ganz so kritisch. So betonte Helmut Born von der ver.di-Linken, man habe beispielsweise eine Rolle dabei gespielt, die gemeinsam vom DGB und dem Unternehmerverband BDA getragene Initiative zur Einschränkung des Streikrechts unter dem Motto der »Tarifeinheit« zu Fall zu bringen. Auch gegen das Vorhaben einer »Tarifreform« im Einzelhandel – die ähnlich katastrophale Auswirkungen hätte wie diejenige im öffentlichen Dienst (siehe jW vom 25. November 2011) – werde in den gewerkschaftsinternen Debatten derzeit recht erfolgreich mobilisiert. Born schränkte allerdings ein: »Das bedeutet nur, das Schlimmste zu verhindern, es ist noch nicht die Durchsetzung einer alternativen Politik.« Die genannten Auseinandersetzungen zeigten aber, »daß es Kräfte gibt, mit denen wir zusammenarbeiten können – wir müssen ihnen aber auch die Türen aufmachen«.

Riexinger betonte, die Gewerkschaftslinke sei »nötiger denn je« und habe Chancen, ihren Einfluß zu erhöhen. Es gebe viele positive Ansätze zur gewerkschaftlichen Erneuerung – so die Streiks im Einzelhandel, im Gesundheitswesen, in der Reinigungsbranche und anderswo, die sehr entschlossen und mit neuen Methoden geführt würden. »Aufgabe der Linken muß es sein, diese Kämpfe zu befördern und die dabei gemachten Erfahrungen bundesweit zu verbreiten«, erklärte Riexinger. Die Gewerkschaftslinke sei »keine Ersatzgewerkschaft«, sondern müsse versuchen, ihre Vorschläge innerhalb der Beschäftigtenorganisationen durchzusetzen.

Darüber, für welche Positionen sich die Linke stark machen soll, herrschte unter den in Frankfurt versammelten Aktivisten weitgehend Einigkeit. Mehrere Redner betonten die Notwendigkeit, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Auch die Systemfrage müsse weiter thematisiert werden. Heftige Kritik übten sie an der Unterstützung der DGB-Führung für die Politik der »Euro-Rettung« auf Kosten der Beschäftigten und Erwerbslosen. »Es ist eine Schande, wie sehr in den Spitzen der deutschen Gewerkschaften das Elend in den südeuropäischen Gesellschaften ignoriert wird«, formulierte der als Referent geladene Politikwissenschaftler Frank Deppe. Den ärmeren EU-Ländern würden im Zuge einer »Fiskaldiktatur« die Interessen der reicheren Staaten aufgezwungen. In den hiesigen Gewerkschaften dominiere eine Politik des »Krisenkorporatismus«, also der Versuch, die kapitalistische Krise gemeinsam mit Konzernen und Regierung zu überwinden – zu Lasten der Beschäftigten anderer Länder.

Der Ratschlag habe das Ziel, »die Zersplitterung der linken Kräfte in den Gewerkschaften ein Stück weit zu überwinden«, erklärte Christa Hourani vom Arbeitsausschuß der IVG. Fortgesetzt werden soll dieser Versuch bei einer Tagung am 27. Oktober in Stuttgart.

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