Ver.di ruft zum Protest (Kollegin Strasdeit, Personalrätin der Uniklinik Tübingen, hat auf den Artikel in der „Jungen Welt“ hingewiesen)

02. August 2012  Meldungen

Dienstleistungsgewerkschaft plant im Herbst öffentliche Demonstrationen und betriebliche Aktivitäten gegen Kürzungspolitik und für Verteilungsgerechtigkeit

Daniel Behruzi

Ver.di will nach der Sommerpause mit verschiedenen Aktionen gegen die neoliberale Politik in Deutschland und Europa angehen. Das geht aus einem jW vorliegenden Schreiben von ver.di-Chef Frank Bsirske hervor, das dieser Tage an die Bezirksgeschäftsführer und Landesbezirksleitungen der Dienstleistungsgewerkschaft verschickt wurde. Im Bündnis mit anderen Gewerkschaften und Sozialverbänden soll der Druck für einen politischen Kurswechsel verstärkt werden.

Die ersten Vorboten einer sich verschlechternden Wirtschaftsentwicklung seien auch hierzulande erkennbar, heißt es in dem Anschreiben des ver.di-Vorsitzenden. Angesichts der Tatsache, daß 60 Prozent der deutschen Exporte in die EU gehen, könne die europäische Krise schnell auch Deutschland ergreifen. Dies bilde den Hintergrund von Aktivitäten, die der ver.di-Bundesvorstand für die kommenden Monate beschlossen habe. Der Brief des ver.di-Chefs soll offenbar die eigenen Funktionäre auf die Planungen einschwören. In der Vergangenheit – beispielsweise bei den Aktionen gegen die Rente mit 67 – hatte die Dienstleistungsgewerkschaft teilweise Schwierigkeiten, solche Kampagnen in der Breite umzusetzen.

Auffallend ist, daß sich ver.di für ihre Vorhaben Bündnispartner sucht – sowohl außerhalb des DGB als auch international. So sollen gemeinsam mit den Partnergewerkschaften aus Österreich und der Schweiz, GPA djp und UNIA, im November und Dezember »Drei-Länder-Wochen« stattfinden. Der Schwerpunkt der Veranstaltungen in Betrieben und Öffentlichkeit soll zwischen dem 5. und 9. November liegen. Zentrales Ziel der drei Gewerkschaften ist es dabei, »der politischen Umdeutung einer Finanzmarktkrise in eine Staatsschuldenkrise entgegenzuwirken«. Die Schuldenfrage sei eine Verteilungsfrage, betont ver.di und rechnet vor: »In Westeuropa beträgt das private Geldvermögen 27 Billionen Euro. Die öffentliche Verschuldung in der Euro-Zone beläuft sich demgegenüber auf gut zehn Billionen Euro. Allein in Deutschland sind die privaten Nettovermögen in den letzten zehn Jahren um mehr als 1100 Milliarden Euro gestiegen.« Zugleich hätten die öffentlichen Schulden um 800 Milliarden Euro zugenommen. Statt Reiche und Vermögende an der Finanzierung notwendiger Aufgaben zu beteiligen, würden diese immer weiter entlastet. Dagegen will ver.di Front machen.

»Von Rom bis Madrid rollt unter dem Deckmantel der Sparpolitik ein Generalangriff auf Arbeitnehmer«, heißt es in der Kampagnenplanung fest. Institutionalisiert werde dieser durch den europäischen Fiskalpakt, den selbst verfassungsändernde Mehrheiten im Parlament nicht mehr aufheben könnten, wenn auch nur ein Vertragsstaat an ihm festhalte. »Mit Volkssouveränität hat das nicht mehr allzuviel zu tun.« Als Alternativen zu dieser Politik propagiert ver.di u.a. einen »Marshallplan in den Ländern des Südens«, das Strecken der Zeiträume zur Haushaltskonsolidierung, durch eine Vermögensabgabe finanzierte Infrastrukturinvestitionen sowie nachhaltige Binnenmarktimpulse, insbesondere in Deutschland. Um diese Forderungen zu verbreiten, sollen Veranstaltungen angeboten, Flugblätter, Plakate und eine Hintergrundbroschüre sowie eine Internetseite und ein Videoclip produziert werden.

Der zweite Teil der ver.di-Aktionen soll im Rahmen des Bündnisses »Umfairteilen« stattfinden, in dem sich die Gewerkschaften ver.di und NGG mit Sozialverbänden und anderen Organisationen zusammengeschlossen haben (umfairteilen.de). Als Unterstützer haben sich auch Grüne und Linkspartei angeschlossen. »Die SPD überlegt noch, ob sie ebenfalls als Unterstützer des Bündnisses auftreten wird«, heißt es bei ver.di. Zentrales Vorhaben von »Umfairteilen« ist ein Aktionstag am 29. September, an dem in verschiedenen Städten Kundgebungen und Demonstrationen stattfinden sollen. Dabei wird auch das Problem der Finanznot von Städten und Bundesländern sowie der »Schuldenbremse« thematisiert. »Ziel ist, die Forderungen nach Umverteilung, Besteuerung des Reichtums und insbesondere nach einer Vermögensabgabe und Vermögenssteuer in den Wahlprogrammen zu verankern, im Wahlkampf zu einem wichtigen Thema und anschließend Druck auf den neu gewählten Bundestag zu machen, um die Koalitionsverhandlungen entsprechend zu beeinflussen«, heißt es in dem jW vorliegenden Papier.

Ebenfalls mit Blick auf die Bundestagswahl sollen drittens Aktionen unter dem Motto »Gerecht geht anders« fortgesetzt werden (www.gerecht-geht-anders.de). Die Themen sind hier so unterschiedlich wie die Bedingungen in den von der Dienstleistungsgewerkschaft organisierten Branchen: Prekäre Beschäftigung, Altersarmut, Verteilungsgerechtigkeit und Eurokrise sollen im Rahmen der Kampagne aufgegriffen und zugespitzt werden. Das soll allerdings nicht nur auf politischer, sondern auch auf betrieblicher Ebene geschehen. Jeder Fachbereich soll 10 bis 15 Betriebe auswählen, in denen vorbildhafte Mustervereinbarungen durchgesetzt werden. Diese könnten zum Beispiel den Ausschluß sachgrundloser Befristungen, die Übernahme der Auszubildenden oder eine Besserstellung von Leiharbeitern beinhalten. Hier nimmt ver.di offenbar eine Erfahrung der Schwestergewerkschaft IG Metall auf, die zuletzt stets versuchte, öffentliche Kampagnen mit Fortschritten im Betrieb zu verbinden.

Der vierte Teil des Aktionsplans bezieht sich auf den Europäischen Bürgerentscheid »Wasser ist Menschenrecht«. Im Rahmen der vom Europäischen Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD) mitgetragenen Kampagne sollen innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften für einen universellen Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung sowie gegen die »Liberalisierung« der Wasserwirtschaft gesammelt werden. Ziel von ver.di ist es, hierzulande 150000 Unterzeichner zu finden.

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