Griechenland lehrt uns, was heute Klassenkämpfe sind

09. Februar 2012  Meldungen

Harald Werner, DIE LINKE. Parteivorstand

Um die Märkte zu beruhigen und in den Genuss weiterer Milliardenhilfen zu gelangen, soll sich das Land nicht nur weiter in den ökonomischen Kollaps sparen, sondern zum Beispiel die Lizenzen von Taxifahrern und Lkw-Spediteuren abschaffen. Wobei es nicht nur um berufsmäßig Auto fahrende Griechen geht, sondern um mehr als 100 Berufe, die auf die eine oder andere Weise der Marktregulierung entzogen sind. Taxifahrer und Lkw-Spediteure sind bei der ökonomischen Dienstklasse von IWF, Ratingagenturen und EZB nur deshalb in Verruf geraten, weil sie sich als besonders renitent gegenüber den Marktkräften gezeigt haben. Es geht um eine simple Angelegenheit. Seit Generationen dürfen griechische Taxifahrer oder Lkw-Spediteure ihr Gewerbe nur ausüben, wenn sie im Besitz einer Lizenz sind, die man für bares Geld von einem in den Ruhestand tretenden Berufskollegen erwirbt. Dabei geht es um einige Tausend Euro, die für die in Rente gehenden Berufskraftfahrer  traditionsgemäß die ansonsten fehlende Altersvorsorge ersetzt.
Würden die Lizenzen abgeschafft und der Marktzugang für alle autofahrenden Griechen geöffnet, würden einige Zehntausend griechische Familien in die absolute Armut stürzen. Für sie gäbe es keine Mindestrente, und Sozialhilfe gibt es im angeblich so arbeitsscheuen Griechenland ohnehin nicht. Völlig unklar, weshalb seit einigen Wochen die obersten Finanzaufseher des Internationalen Währungsfonds und der EU ausgerechnet die Liberalisierung von etwas mehr als 100 Berufen zur Kernforderung für den Nachweis griechischer „Reformbereitschaft“ erhoben haben. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so unklar, sondern eher typisch.
Irrationale Ängste produzieren nämlich auch irrationale Schutzmaßnahmen. Realistisch betrachtet kann niemand erklären, weshalb die Marktöffnung für einige Dutzend Berufe die Griechen in die Lage versetzen soll, ihre immensen Staatsschulden zu begleichen. Denn tatsächlich haben die bisherigen „Reformbemühungen“ die Wirtschaft und damit die Zahlungsfähigkeit Griechenlands schrumpfen lassen. 60.000 Kleingewerbetreibende haben Insolvenz angemeldet, die Arbeitslosen nehmen ebenso zu wie die Obdachlosen auf den Straßen und mit jeder neuen Maßnahme sinkt die Chance der Vermögenden dieser Welt, dass sie ihre in griechischen Staatsanleihen oder Aktien steckenden Vermögen je zurückerhalten. Weshalb also diese irrsinnigen Forderungen?
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, lehrt uns Goya und die Wirklichkeit des Marktradikalismus bestätigt es. Die Unvernunft der Reichen dieser Erde, die wie die Blutsauger Unternehmen und ganze Volkswirtschaften zu Grunde richten, hat keinen anderen Grund, als dass sie nicht sehen, was sie anrichten. Während der gute alte Klassenfeind immerhin noch sehen konnte, woher seine Rendite stammt, sind die Milliardäre dieser Welt mit Blindheit geschlagen. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass einige wenige davon vom Saulus zum Paulus wurden. Und was ist mit den politischen Eliten, den europäischen Kommissaren und ihren Kommentatoren in den meinungsführenden Medien? Nichts anderes, auch sie sind mit Blindheit geschlagen, entweder als Nutznießer dieser Unvernunft oder aus schlichter Dummheit. Der Glaube kann eben nicht nur Berge versetzen, sondern der Glaube an die Selbstheilungskraft der Märkte kann diese auch zu Grunde richten.
Nichts wäre in dieser Situation vernünftiger, als nicht die griechischen Taxifahrer in die Armut zu treiben, sondern sich an jene Griechen zu halten, die in den vergangenen zwei Jahren 300 Milliarden außer Landes brachten. Es wäre auch vernünftig die griechischen Staatsschulden zu entwerten, damit dieses Land wieder lebensfähig wird. Dagegen scheint die Ideologie des freien Marktes und der Heiligkeit des Privateigentums zu stehen. In Wahrheit stehen dem simple Klasseninteressen entgegen, die sich in den Mantel des launischen, unberechenbaren und natürlich unbeeinflussbaren Marktes hüllen. Es müsste jemand aufstehen und schlicht sagen, dass der Kaiser nackt ist.

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