Die Arbeitszeitdebatte kann nur als Verteilungsdebatte gewonnen werden.

06. August 2019  Meldungen

Wenn wir die Arbeitszeitdebatte nicht führen, nicht zu Ergebnissen kommen und diese nicht in der Breite verankern können, kriegen wir kampflos die Arbeitszeiten des Kapitals übergestülpt. Und das heißt vor allem: Komplette Entgrenzung und höhere Arbeitslosigkeit. Das Kapital reißt sich alles unter den Nagel.
Und wieder geht es nur um eines: Wie (gerecht) wird verteilt?

Stefan Dreher

Eine neue Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema ist mehr als lesenswert:
INDIVIDUELLE BEDÜRFNISSE, KOLLEKTIVE AKTIONEN, POLITISCHE ALTERNATIVEN
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Die Arbeit 4.0 rationalisiert Produktion, Verwaltung und Dienstleistung. Kündigungen, Leistungsverdichtung und teilweise Schaffung neuer, anderer Arbeitsplätze können folgen. Eine durchaus konkurrenzorientierte Weiterbildungsstrategie Kolleg*in gegen Kolleg*in birgt zudem die Gefahr der Entsolidarisierung.

Nach zehn Jahren ungebremsten Booms scheint die deutsche Wirtschaft erstmals wieder in eine altbekannte zyklische Überproduktionskrise zu kommen. Erste sichtbare Anzeichen: Kurzarbeit wird angemeldet, Leiharbeiter*innen werden nicht weiter beschäftigt.

Die internationalen Turbulenzen, die grad von Trump bzgl. Unternehmenssteuern, Arbeitsrecht, Zinspolitik, Zölle oder Embargos vom Zaun gebrochen werden, verunsichern vor allem die Märkte für Investitionsgüter wie den Maschinenbau, aber insgesamt scheint „der Export“ rückläufig zu sein.

Am Automobilstandort Baden-Württemberg wird die Produktion ja nicht vom Verbrenner zum E-Antrieb „um“gebaut, vielmehr entstehen völlig neue Fabriken, Verfahren, Montagetechnologien mit deutlich weniger Personaleinsatz. Und die „alten“ Technologien werden ja nicht von jetzt auf nachher abgestellt, sondern erfahren halt eine etwas geringere Nachfrage. Was auch da den Rationalisierungsdruck wachsen lässt.

Das allein müsste doch reichen, vernunftgetrieben an die Arbeitszeitfrage heranzugehen, zu erkennen, dass so vielen Arbeitszeit vernichtenden Tendenzen gerechterweise nur über eine andere Verteilung der Arbeitszeit, z.B. einer Arbeitszeitverkürzung, begegnet werden kann.

Andererseits sehen wir, dass überall dort, wo eine Verkürzung der Arbeitszeit tariflich erzielt wurde, die Kolleg*innen reichlichst Gebrauch von der Option der Arbeitszeitverkürzung machen. Die Option der kürzeren Arbeitszeit ist also kein Hirngespinst sondern ein echtes Bedürfnis. Gerade die Tatsache, dass bei Tarifregelungen in der Regel die Kolleg*innen ihre kürzere Arbeitszeit gewissermaßen selbst bezahlen, zeigt doch, wie groß die Sehnsucht nach mehr Lebenszeit ist.

Mehr Lebenszeit kriegen wir jedoch nicht, weil wir ein Bedürfnis danach haben, oder weil es eigentlich vernünftig wäre, die Gesellschaft vor überbordender Arbeitslosigkeit zu bewahren. Es wird mehr Lebenszeit nur über Kämpfe geben, denn das Kapital hat bezüglich Arbeitszeit völlig andere Interessen und trägt diese Interessen ideologisch verpackt wie ein feuriges Schwert vor sich her. Man kann sogar sagen, dass in vielen Bereichen die Arbeitgeber die in den 1980er und -90er Jahren errungenen, abgetrotzten Erfolge der Gewerkschaften bezüglich Zeit Stück für Stück wieder eingesammelt haben. Und Heerscharen von neoliberalen Propagandisten sind bereits unterwegs, die wenigen Regelungen bzgl. Arbeitszeit als „wettbewerbsnachteilig“ zu zerschießen: Verbaler Klassenkampf von oben.

Dabei muss unsere Debatte mit äußerster Umsicht geführt werden, denn eine Parole „30 Stunden sind genug“, kann sich bei Beschäftigten im zwischenzeitlich deutlich ausgedehnten Niedriglohnsektor auch wie eine Drohung anhören. Denn vor dem Hintergrund von knapp zehn Euro Stundenlohn brauchen dort die Beschäftigten ihre Stunden, um finanziell überhaupt über die Runden zu kommen.

Die Aufgabe der Gewerkschaften ist, die Debatte in die Betriebe zu tragen. Aktuell ist ver.di dran: Es ist beschlossenen Sache, bei der nächsten TVÖD-Runde eine deutliche Arbeitszeitkomponente einzubauen.

Unsere Aufgabe als Gewerkschafter*innen in der Linken ist es, die Dabatte in ihrer ganzen Ausdifferenzierung in die Gesellschaft zu tragen, nicht zuletzt auch in unsere Partei.

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