Der Freitag: Interview mit Hansi Urban

03. Juli 2018  Meldungen

„Für die Linke muss die Refugees-Welcome-Kultur, die schwächer geworden ist, aber noch nicht verloschen ist, der Ausgangspunkt ihrer Politik sein.“ Foto: Sean Gallup/Getty Images

„Anti-Rassismus und eine versteckte
Agenda“
Interview IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban erklärt, was er am Aufruf „Solidarität statt Heimat“ gut findet – und warum er ihn trotzdem nicht unterzeichnet

der Freitag: Herr Urban, seit einigen Tagen ist ein Aufruf unter dem Titel „Solidarität statt
Heimat“ im Umlauf, den bis zu diesem
Donnerstag bereits mehr als 12.000 Menschen unterzeichnet haben. Wie finden Sie das?

Hans-Jürgen Urban: Großartig! Wenn Menschen ihre Stimme gegen einen Rassismus erheben, der bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinragt, dann können es nicht genug sein.

Sie selbst haben aber bisher nicht unterzeichnet.

Richtig.

Warum nicht?

Weil dieser Aufruf neben den offenkundigen anti-rassistischen Botschaften, denen ich mich anschließe, auch eine versteckte Agenda enthält. Diese will nicht nach außen einigen, sondern nach innen polarisieren und spalten. Und diese Agenda will ich nicht unterstützen, ich halte sie für fatal.

Was meinen Sie damit?

Die Subbotschaft des Aufrufs zielt auf eine innerlinke Kontroverse. Sein Anlass war offenbar die Auseinandersetzung in der Partei Die Linke um Migration und Sozialstaatspolitik, die auf dem letzten Parteitag eskaliert ist und weiter schwelt. Die einen werfen den anderen vor, mit falschen Schwerpunktsetzungen die Verlierinnen und Verlierer des Neoliberalismus den Rechtspopulisten zu überlassen. Und die anderen antworten darauf, dass diese Analyse und die darauf beruhende Politikstrategie rassistisch seien und deshalb bekämpft werden müssten. Der Aufruf stellt sich in diesem Konflikt auf eine Seite und bezichtigt in einer äußerst pauschalen Art einen Teil der Linken des Rassismus.

Sie meinen, er nimmt Stellung gegen den sogenannten Wagenknecht-Flügel?

Offenbar, zumindest wurde dies von Mitinitiatorinnen und Mitinitiatoren des Aufrufs so kommuniziert. Und das aufgeregte Geschnatter in den sozialen Medien weist auch in diese Richtung.

Kritisieren Sie das, weil Sie auf Seiten dieses Flügels stehen?

Nein, da stehe ich nicht. Dort nicht und bei keinem Flügel. Erstens ist es nicht meine Aufgabe als Gewerkschafter, mich auf der Grundlage unvollständiger Informationen in den parteiinternen Machtkonflikt einzumischen. Aber vor allem ist mir auf diesem Flügel zu viel von Besitzstandswahrung im gegenwärtigen Sozialstaat und viel zu wenig von ökonomischer Kapitalismuskritik und von der unabdingbaren Solidarität mit denjenigen die Rede, die zu uns fliehen. Für die Linke muss die Refugees-Welcome-Kultur, die schwächer geworden ist, aber noch nicht verloschen ist, der Ausgangspunkt ihrer Politik sein. Das ist für mich nicht verhandelbar, will die Linke nicht ihre Identität einbüßen. Es macht aber überhaupt keinen Sinn, schon die kleinsten Abweichungen von diesem Standpunkt mit dem Bannstrahl des Rassismus zu ächten. Diese Art von Diskursfeindlichkeit ist arrogant und schlichtweg dämlich.

Aber ist es in diesen Zeiten nicht zunächst wichtig, überhaupt ein Zeichen gegen zunehmende Fremdenfeindlichkeit zu setzen, auch wenn man nicht mit allen Nuancen des Aufrufs einverstanden ist?

Ich bin sicher, dass die übergroße Mehrheit der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner einfach ein Zeichen gegen diese eklatante und widerwärtige Rechtsverschiebung in der Gesellschaft setzen wollte und dass das Bedürfnis dominierte, der Arroganz der Mächtigen und ihrem Rechtspopulismus eine laute Stimme der Humanität und Solidarität entgegenzurufen. Das ist nachvollziehbar, mir geht es doch genauso. Aber wir müssen doch auch über die ökonomischen, sozialen und ideologischen Vorrausetzungen dieser Solidarität diskutieren. Sie stellen sich doch nicht von alleine ein, die Linke muss um sie kämpfen. Umso ärgerlicher ist es wenn diese Intentionen mit der Strategie verbunden werden, einen bestimmten linken Antwortversuch auf alle diese Frage a priori zu diskreditieren.

Was soll das heißen?

In der linken Debatte wird seit geraumer Zeit ein Konflikt ausgetragen, wie die Phänomene des Rechtspopulismus und Rassismus zu deuten sind und wie ihnen begegnet werden sollte. Es gibt eine durchaus relevante Strömung, die es für unlauter hält, nach den gesellschaftlichen und vor allem sozialen Ursachen des Rechtspopulismus zu fragen. Sie kritisiert bereits den Hinweis auf das Zusammenwirken von sozialer Deklassierung, kultureller Abwertung und Sozialtstaatsdemontage im neo-liberalen Gegenwartskapitalismus. Auch die Frage, welchen Beitrag der Kampf gegen diese Demontage und für eine Öffnung der Sozialsysteme zu einer anti-populistischen Politik leisten kann oder soll, wird zurückgewiesen. Nicht eventuelle Antworten, sondern bereits diese Fragen werden unter Rassismusverdacht gestellt. Und mit der Keule des Rassismusvorwurfs erschlägt man jeden Diskurs. Dabei geht es dieser Richtung vor allem darum, so mein Eindruck, möglichst früh alle analytischen und strategischen Zugänge zu stoppen, die zu kapitalismustheoretischen und klassenpolitischen Schlussfolgerungen führen könnten. Dass auch die Gegenwarts-Gesellschaften Klassengesellschaften sind, dass es einen Zusammenhang zwischen der Prekarisierung von Klassenlagen und der Zustimmung zu autoritären Scheinlösungen geben könnte; und dass eine neue Klassenpolitik, die die gespaltenen und wechselseitig in Konkurrenz getriebenen Teile der abhängig Arbeitenden und Lebenden zusammenführen will, ein Teil der Lösung sein könnte, das alles soll tabuisiert werden. Dabei sprechen doch wirklich triftige Argumente dafür, eine solche Strategie nicht zu verteufeln, sondern die Geflüchteten mit ihren Interessen und Bedürfnissen in eine entsprechende Politik einzubeziehen.

Es geht also vor allem um den viel beschworenen Streit um Klassen- oder Anerkennungsfragen?

Nein, der ist eigentlich überflüssig. Wer wollte leugnen, dass die kultur- und anerkennungstheoretischen Zugänge zu Macht- und Herrschaftsfragen eine Bereicherung des kapitalismuskritischen Diskurses darstellen. Viel stärker als es ausschließlich politökonomisch orientierte Ansätze konnten, haben sie „verborgene Mechanismen“ und Dimensionen von Unterdrückung, Abwertung und Ausschluss freigelegt. Und völlig zu Recht haben sie auf die Emanzipationsinteressen von Frauen, Immigrantinnen, Immigranten, People of Color sowie Angehörigen der LGBTQ-Communities als unverzichtbare Bestandteile linker Politik verwiesen. Das Problem beginnt, wenn vergessen wird, dass sich all diese Aufgaben auch heute noch in kapitalistischen Gesellschaften stellen, dass dieser Kapitalismus sie funktionalisiert und dass deshalb die in der modernen Linken so beliebte Entsorgung von Kapitalismus- und Klassenfragen analytisch und strategisch in die Irre führt. Auch der Rechtspopulismus lässt sich kaum angemessen begreifen, wenn die Dynamiken des neoliberalen Kapitalismus mit all ihren Folgen für die Menschen außen vor bleiben. Menschen werden nicht als Rassisten geboren, sie werden zu solchen gemacht. Und wer das ändern will, muss sich um das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ kümmern. Das war mal Gemeingut linker Überzeugungen. Doch drei Jahrzehnte Neoliberalismus haben halt in vielen Köpfen ihre Spuren hinterlassen.

Was wäre jetzt zu tun?

Darüber müssen wir diskutieren. Selbstkritisch und solidarisch. Schnellschüsse helfen nicht weiter. Aber natürlich erfordert die gegenwärtige Lage auch umgehendes Handeln. Drei Aufgaben haben meines Erachtens Priorität. Erstens: Offensive Bekämpfung des gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks, aber ohne diese blödsinnige innerlinke Polarisierung. „Klarheit vor Einheit“ hieß diese Strategie einmal. Und sie markierte den Beginn des Übergangs einer breiten, studentischen Protestbewegung in eine Vielzahl sektiererischer Kleinparteien. Das sollten wir uns ersparen. Zweitens: Mehr Anstrengungen, um die Treiber des heutigen Rechtspopulismus und Rassismus wirklich zu begreifen, um ihnen nicht nur mit einer sympathischen Bekenntnisethik, sondern auch mit einer wirksamen Sozial-, Gesellschafts- und Aufklärungspolitik entgegen zu wirken. Und vor allem: Unzweifelhafte Solidarität mit den Flüchtlingen! Nicht nur durch Aufrufe, sondern durch den Schutz vor rassistischen Angriffen und durch Brücken in die Gesellschaft. Und natürlich auch durch einen linken Internationalismus, der sich den Fluchtursachen zuwendet, die kriminelle Schlepperökonomie attackiert und auch die nicht vergisst, die sich nicht auf die Flucht machen. Es müsste doch möglich sein, dass sich die Linke – trotz der Verwirrungen, die der Neoliberalismus angerichtet hat – auf einen solchen oder einen ähnlichen Minimalkonsens verständigt und dies auch nach außen dokumentiert. Sonst wird’s noch enger.

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