
Gertrud Moll
Liebe Genossinnen, liebe Genossen!
Vor einem halben Jahr habe ich mich gefreut über die Ankündigung einer Kampagne der LINKEN, die sich u.a. mit Fragen der prekären Arbeit, der guten Arbeit, der Gesundheit der Beschäftigten und der Arbeitszeit auseinandersetzen sollte.
Was ich bisher lese, klingt in meinen Ohren weitgehend abgehoben und weit weg vom Lebensalltag!
Der Kongress beginnt nun an einem Donnerstag. Welche erwerbstätigen GenossInnen können sich mal so eben einen Donnerstag und Freitag für einen Kongress freinehmen? Wer ist damit schon einmal von vornherein ausgeschlossen?
Abgehoben scheint mir z.B. die Fragestellung in dem Roboter-Artikel, da frage ich mich: warum reden wir nicht darüber, wie wir die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie und der Bundeswehr und ihre Gewerkschaften dazu bewegen können, diese Arbeit in Frage zu stellen? Die werde ich immer noch eher zum Nachdenken kriegen als eine Drohne und einen Roboter. Diese Diskussionen laufen in IGM und ver.di, und dort müssen wir uns beteiligen und daraus ganz konkret Anträge für Gewerkschaftstage produzieren!
Der Artikel über Crowdsourcing scheint mir ein recht kleines Segment der IT-Beschäftigten zu betreffen. Prekariat in der IT-Industrie sind für mich in erster Linie die vielen Werkvertragsbeschäftigten und einige LeiharbeitnehmerInnen, die zwar immer noch viel mehr verdienen als Prekäre in Fertigung und Logistik, aber immer die Festbeschäftigten mit wesentlich höherem Einkommen und vor allem unbefristeten Jobs vor Augen haben, die fast die gleiche Arbeit machen wie sie. Über die zu schreiben, ist zwar nicht so spannend wie über Crowdsourcing, weil es die schon seit zwanzig oder dreißig Jahren gibt, aber es ist näher an der realen Arbeitswelt der immer anwachsenden Zahl der IT-ler.
Zum Artikel von H.-J. Arlt über die „linke Glorifizierung von Arbeit“ – ein typischer Ausschnitt:
Der Arbeitstag eines Managers mit Sitzungen, Flügen und Arbeitsessen wird hundertmal besser bezahlt als der einer Sekretärin, die das alles organisiert, gebucht, zehnmal wieder geändert und als Terminplan dem Kerl und dessen Chauffeur in die Hand gedrückt hat.
In dem Betrieb – mit über 10 000 Beschäftigten – in dem ich bis vor kurzem Betriebsrätin war, stimmt dieses Gehaltsverhältnis 1:100 vielleicht für fünf Manager (von etwa 500). Sekretärinnen – jedenfalls in der Metallindustrie – werden nicht so schlecht bezahlt, wie es H.-J. Arlt annimmt, und die vielen Sekretärinnen, die ich betreut habe, machen ihre Arbeit im Allgemeinen ganz gern, werden auch in ihrer Abteilung respektiert und würden dem Autor die Augen auskratzen, wenn er versuchen würde, sie davon zu „befreien“. So gut wie keine hat einen Chef mit Chauffeur.
Glorifizierung von prekärer Arbeit wäre in der Tat sehr verfehlt. Aber die prekären Beschäftigten, die ich kenne, wünschen sich keine Befreiung von Arbeit, sondern anständig bezahlte, interessante und unbefristete Arbeit. Hier sehe ich unsere Aufgaben!
Mit freundlichen Grüßen
Gertrud Moll, AG Betrieb und Gewerkschaft


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