Susanne Ferschl MdB: Einschätzung des Koalitionsvertrages
Die Ampel–Parteien haben ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht. Wir haben uns eine Auswahl der wichtigsten Themen für die Arbeitswelt für Euch näher angeschaut. Im Folgenden sind einzelne Punkte aus dem Koalitionsvertrag detailliert aufgeführt und
eingeschätzt. Bei Fragen und Rückmeldung sind mein Team und ich jederzeit gern für euch da.
Arbeitszeit
Die Ampel will „flexiblere Arbeitszeitmodelle“ ermöglichen und eine sogenannte
„Experimentierklausel“ einführen. Durch Öffnungsklauseln in Tarifverträgen soll eine
Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit über die bisherigen 8 Stunden hinaus ermöglicht werden. Dadurch werden die Schutzrechte des Arbeitszeitgesetzes teilweise abgebaut.
Denkbar ist aber auch, dass die Ruhezeiten zwischen zwei Arbeitseinsätzen verkürzt werden sollen. Diese hatte die FDP–Fraktion im Bundestag gefordert . Im Sondierungspapier war sogar noch vorgesehen, dass eine Überschreitung der
Tageshöchstarbeitszeit durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden könnte. Dadurch
wären Betriebsräte erheblich unter Druck geraten. Aber auch jetzt werden Arbeitgeber
Gewerkschaften regelmäßig dazu auffordern in Tarifverträgen Klauseln zur Öffnung des
Arbeitszeitgesetzes aufzunehmen. Und das, obwohl bekannt ist, dass ausufernde
Arbeitszeiten erhebliche gesundheitliche Risiken für die Beschäftigten bedeuten. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeiterfassung aus dem Mai 2019 wollen
SPD, GRÜNE und FDP weiter nur prüfen. So hat es auch schon die Große Koalition gehalten und ist zu keinem Ergebnis gekommen, obwohl einschlägige Gutachten einen klaren Anpassungsbedarf für das deutsche Arbeitsrecht sahen . Der geplante Prüfauftrag soll wohl die Umsetzung auf den Sankt–Nimmerleinstag verschieben. Gerade bei einer geplanten Ausweitung der Arbeitszeiten wäre eine verpflichtende Dokumentation der täglichen Arbeitszeit umso wichtiger. Hier ist von der Ampel jedoch nichts zu erwarten.
Mindestlohn
Der Mindestlohn wird in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro erhöht. Das ist ein sehr wichtiger Schritt der dazu beitragen wird, den Niedriglohnbereich entscheidend zu verkleinern und das Tarifsystem nach unten hin zu stabilisieren. Zehn Millionen Beschäftigte profitieren direkt von dieser Anhebung. Eine langjährige Forderung der LINKEN wird damit umgesetzt.
Wichtig wäre es jedoch gewesen gleichzeitig eine Reform der Mindestlohnkommission zu
unternehmen. Sonst droht sich der Mindestlohn wieder von der allgemeinen Tarifentwicklung abzukoppeln. Außerdem finden sich keine Pläne, um die Umgehung des Mindestlohns effektiver durch Kontrollen zu verhindern. Im Interesse der Beschäftigten wäre dies fast so wichtig, wie die Erhöhung an sich. Die dafür zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit untersteht den nun bald dem FDP geführten Finanzministerium. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Minjobs
Wo die Ampel auf der einen Seite Lohnarbeit mit der Mindestlohnerhöhung aufwertet, trägt sie auf der anderen Seite zur weiteren Prekarisierung bei. Die Minijob–Grenze soll auf 520 Euro heraufgesetzt und auf 10 Stunden pro Woche dynamisiert werden. Das bedeutet, dass sich die Minijob–Grenze jeweils den Mindestlohnerhöhungen anpassen wird – eine langjährige Forderung der FDP. Eine Anhebung der Verdienstgrenze bei den Minijobs sowie Dynamisierung wird im Übrigen auch von der AfD befürwortet – während viele wissenschaftliche und gewerkschaftliche Sachverständiger eine Ausweitung von Minjobs kritisieren . Nicht nur in der Corona–Pandemie, sondern auch in Bezug auf die Rente ist uns allen deutlich geworden, wie wichtig eine sozialversicherungspflichtige Absicherung für alle Beschäftigten ist. Eine aktuelle Studie des IAB hat gezeigt, dass Minijobs eben keine Brücke in den Arbeitsmarkt sind, sondern in erheblichem Umfang sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verdrängen. Anstatt für mehr abgesicherte Arbeit zu sorgen, zementiert die Ampel für viele ihre prekäre Beschäftigung und weitet diesen Bereich sogar noch aus. Diese Entscheidung ist gleichstellungs– sowie arbeits– und sozialpolitisch ein fatales Signal – erst Recht inmitten der aktuell tobenden vierten Corona–Welle, in der erneut tausende Minijobbende – ohne Anspruch auf Kurzarbeiter– oder Arbeitslosengeld – als erstes ihre Jobs verlieren werden, darunter viele Frauen.
Befristung
Sachgrundlose Befristungen wollen die Ampel–Koalitionäre beim Bund als Arbeitgeber
eindämmen, um „Schritt für Schritt“ mit gutem Beispiel voranzugehen. In der Privatwirtschaft darf weiter sachgrundlos befristet werden – aber „nur“ für sechs Jahre, um Kettenbefristungen zu vermeiden. Um Unternehmen nicht zu verschrecken, werden vorauseilend Ausnahmen für diese Höchstdauer angekündigt. In der vergangenen GroKo–Legislaturperiode wurde stets auf die CDU/ CSU als Grund verwiesen, warum die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung nicht umgesetzt wurde. Warum nun aber im Ampel–Koalitionsvertrag nicht einmal mehr das Ziel der Einschränkung enthalten ist, bleibt das Geheimnis der Kanzlerpartei SPD. DIE LINKE fordert seit Langem die Abschaffung sachgrundloser Befristung, die als Disziplinierungsinstrument für abhängig Beschäftigte genutzt wird, Belegschaften spaltet und Lebensplanung erschwert.
Tarifbindung
Die vorgesehene Möglichkeit, über Tarifverträge Ausweitungen der täglichen Höchstarbeitszeit zu erwirken, machen Tarifverträge auch für Unternehmen reizvoll. Schließlich können somit qua Tarifvertrag gesetzliche Regelungen unterlaufen werden. Im
Bereich der Arbeitnehmerüberlassung ist das gängige Praxis – der gesetzliche Grundsatz
gleicher Bezahlung sowie die Höchstüberlassungsdauer werden so unterlaufen. Das Prinzip eines Tarifvertrages, nämlich auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen, die
Arbeitsbedingungen in einem Betrieb oder einer Branche zu verbessern, wird so in das
Gegenteil verkehrt. Ob auf diese Weise Beschäftigtenrechte und Gewerkschaften gestärkt
werden, ist mehr als zweifelhaft. Statt das Prinzip Tarifvertrag zu schleifen, wäre eine
Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen der bessere Weg
gewesen, um das Ziel einer höheren Tarifbindung zu erreichen. Gut an der Ampelvereinbarung ist, dass bei der Auftragsvergabe des Bundes künftig eine
Bezahlung nach Tarif ausschlaggebend sein soll. Wenngleich kritisch zu beobachten gilt, was genau unter einer „Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung“ zu verstehen ist?
Mitbestimmung
Die SPD und die GRÜNEN waren mit teilweise vielversprechenden Forderungen für die
betriebliche Mitbestimmung in den Wahlkampf gegangen. Leider ist davon kaum etwas
übriggeblieben. Am aufsehenerregendsten ist wohl, das Behinderung von Betriebsräten und BR–Wahlen nun ein Offizialdelikt werden soll. Das bedeutet, dass Staatsanwaltschaften diese Straftaten von Amtswegen verfolgen müssen. Nun können auch NGOs und Privatpersonen eine entsprechende Anzeige stellen. Es ist jedoch zu befürchten, dass sich dadurch kaum etwas an der mangelnden Strafverfolgung in diesem Bereich ändern wird. Bestehende Staatsanwaltschaften arbeiten zu ganz anderen Bereichen und können Straftaten nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht mal eben so mitmachen. Die LINKE fordert deswegen schon seit Jahren Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Ohne diese werden wir keine substantielle Eindämmung von Betriebsrats–Bashing sehen. Eine weitere geplante Neuerung ist die Möglichkeit die BR–Wahlen online durchzuführen. Wir sind sehr kritisch demgegenüber, denn die Integrität der Wahlen ist von großer Bedeutung.
Gerade in großen Betrieben kann eine Betriebsratswahl viel Arbeit machen. Aktuell können Wahlvorstände dies wieder aus erster Hand bestätigen. Aber Betriebsräte haben auch für die Betriebe in denen sie gewählt werden eine große Bedeutung. Wahlen und die Stimmabgabe sind ein zentrales Ritual unserer demokratischen Gesellschaft. So lange auch die Bundestagswahlen, aus guten Gründen, nicht online stattfinden, gibt es keinen Anlass dies im Betrieb zu tun. Weitere Reformen am Betriebsverfassungsgesetz sind wohl geplant. Der Koalitionsvertrag spricht von einer Evaluation des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes. Die SPD und die GRÜNEN haben hier durchaus sinnvolle Forderungen, wie ein volles Mitbestimmungsrecht bei Berufsbildung oder die Mitbestimmung auch bei der Einführung von mobiler Arbeit. Da im Koalitionsvertrag nichts dergleichen festgeschrieben ist, können wir hier auch nichts erwarten.
Homeoffice
Beim Homeoffice stellt die Ampel die Interessen der Beschäftigten leider nicht vorne an. Der Koalitionsvertrag schreibt fest, dass für Homeoffice nicht dasselbe Schutzniveau wie für die in der Arbeitsstättenverordnung geregelte Telearbeit gelten soll. Anstatt den Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, für eine gesundheitsgereichte Ausstattung zu sorgen, soll es bei Information und Beratung bleiben. Für Gute Arbeit im Homeoffice braucht es jedoch mehr. Andererseits sollen Beschäftigte auch kein Recht auf das Homeoffice haben, sondern nur einen „Erörterungsanspruch“. Wenn Beschäftigte damit weit häufiger ins Homeoffice geschickt werden, als das sie sich selbst für das Homeoffice entscheiden, wäre es richtig, den Arbeitgeber für die Ausgestaltung des Homeoffices verantwortlich zu machen. Genau das wird jedoch nicht passieren. Wie schon bei der Frage der Arbeitszeit erscheinen die Pläne der Ampel–Koalition so, als würden sie den Wünschen der Beschäftigten folgen und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass vor allem die Interessen der Unternehmen im Vordergrund stehen.
Soziale Sicherungssysteme
Vollends enttäuschend ist das Schweigen über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme und die Zementierung falscher Vergangenheitspfade in die Zukunft: Die Beibehaltung der Zwei–Klassen–Medizin sowie der Regelaltersgrenze von 67 Jahren und des Rentenniveaus von 48 Prozent in der Rente. Leistungsverbesserungen bei der Rente wird es mit rot–grün–gelb nicht geben – nein, es wird sogar ein Paradigmenwechsel durch einen teilweisen Einstieg in den Kapitalmarkt geben, dies lehnen wir strikt ab. Der Umbau der Kranken– und Rentenversicherung in eine Bürger– bzw. Erwerbstätigenversicherung, in die alle Berufsgruppen einbezogen werden, so wie es SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen hatten, ist gänzlich den marktradikalen Plänen der FDP zum Opfer gefallen.
Die Arbeitslosenversicherung ächzt unter den Lasten der Corona–Pandemie. Es steht zu
befürchten, dass die notwendigen und sinnvollen Steuerzuschüsse spätestens ab 2023,
wenn die Schuldenbremse wieder in Kraft tritt, mit Kürzungen in den Leistungen refinanziert werden, die dann die Beschäftigten alleine zu tragen haben. Statt drohendem Kürzungshammer oder Beibehaltung des Status Quo, sind Leistungsverbesserungen notwendig, überfällig und auch finanzierbar – durch den Umstieg auf solidarisch finanzierte Versicherungssysteme. Notwendig ist eine Abkehr von der Zwei–
Klassen–Medizin zugunsten einer Solidarischen Gesundheits– und Pflegeversicherung und
eine Überführung der Rentenversicherung in eine Erwerbstätigenversicherung.
Resümee
Der Koalitionsvertrag beschreibt die Absichten von SPD, GRÜNE und FDP für die kommenden vier Jahre. Ob alle Pläne auch genauso umgesetzt werden, ist noch nicht klar. Dies hängt auch entscheidend vom politischen Klima ab, das zu dieser Zeit herrschen wird. Es ist an uns im Parlament und allen Kolleg*innen in den Gewerkschaften und Betrieben dazu beizutragen, dieses Klima mitzugestalten. Unsere Kritik an den geplanten Änderungen und unsere Forderungen nach Verbesserungen müssen laut genug sein. Dann können wir es schaffen, auch die nächsten vier Jahre aus der Opposition mitzugestalten. Klar ist aber: Statt kleiner Korrekturen an einigen Stellen und großen Rückschritten an anderen, sind mutige große Reformen für gute Arbeit, mehr soziale Sicherheit und gesellschaftliche Solidarität notwendig. Die angekündigten Ampel–Maßnahmen sind dafür leider nicht ausreichend. Das zeigt umso deutlicher: Eine starke, geeinte LINKE als soziales Korrektiv und Stimme der abhängig Beschäftigten im Bundestag ist weiterhin nötig. Wir machen im Parlament und auf der Straße weiter Druck für mehr soziale Gerechtigkeit.
Solidarische Grüße Susanne Ferschl