Berufskrankheit Corona: mehr als vier von zehn Fällen nicht anerkannt

Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Fragen Nr. 243 bis 246 von Jutta Krellmann, Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

 

Zusammenfassung:

Mehr als vier von zehn der angezeigten Corona-Berufskrankheiten-Fälle werden nicht anerkannt. Zwei Drittel der angezeigten Corona-Berufskrankheiten-Fälle und sieben von zehn Anerkennungen entfielen auf die Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege (BGW). Außer bei BGW, der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und den Unfallkassen der Länder liegt die Anerkennungsquote niedriger als 15 Prozent.

Zwei von drei gemeldeten Corona-Arbeitsunfällen werden nicht anerkennt. Die meisten gemeldeten Corona-Arbeitsunfälle entfielen auf die Unfallkassen der Länder, die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe und die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG). Es wurden um mehr als ein Drittel weniger Corona-Arbeitsunfälle gemeldet als Corona-Berufskrankheiten angezeigt. Die Anerkennungsquote von Corona-Arbeitsunfällen ist niedriger als die von Corona-Berufskrankheiten.

Die Bundesregierung erklärt, dass die Berufskrankheit (BK) Nr. 3101 „Infektionskrankheiten“ Erkrankungen durch Covid-19 einschließt. Diese BK setze voraus, dass der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt sei. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales habe geprüft, ob nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand weitere Tätigkeiten außerhalb der in der BK Nr. 3101 genannten ein vergleichbar hohes Infektionsrisiko aufwiesen. Zum jetzigen Zeitpunkt lasse sich keine anderen Tätigkeiten identifizieren, für die sich wissenschaftlich belastbar ein vergleichbar hohes Covid-19-Erkrankungsrisiko zeige. Gefragt wurde vor dem Hintergrund von Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), wonach Beschäftigte in Erziehungsberufen durchschnittlich die höchste Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund einer Corona-Diagnose aufweisen

Befragt danach, was die Bundesregierung unternimmt, um Beschäftigte  die sich bei oder auf dem Weg zur Arbeit mit Corona infizieren, über ihr Recht auf Entschädigung durch die gesetzliche Unfallversicherung aufzuklären, verweist diese auf Internet-Seiten, auf denen sich Betroffen informieren können. Die Frage wurde gestellt vor dem Hintergrund der Aussagen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) wonach es wichtig sei, Corona-Infektionen bei dem zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden, da die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten der anstehenden Heilbehandlung sowie der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation übernehme, bei geminderter Erwerbsfähigkeit, beispielsweise durch schwere Verläufe oder Spätfolgen, ggf. auch eine Rente bezahle – im Todesfall auch für Hinterbliebene, sowie die Leistungen zur Rehabilitation bei der gesetzlichen Unfallversicherung umfangreicher als die der gesetzlichen Krankenversicherung, seien, insbesondere in Hinblick auf finanzielle Entschädigungsleistungen.

 

O-Ton Jutta Krellmann, MdB, Sprecherin für Mitbestimmung und Arbeit für DIE LINKE im Bundestag:

 

„Jeder, der bei seiner Arbeit an Corona erkrankt, hat das Recht von der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt zu werden. Doch viele Betroffene werden abgeblockt, damit die Arbeitgeberbeiträge niedrig bleiben. Dabei gibt es eine Entschädigung nur von der gesetzlichen Unfallversicherung und nicht bei der Krankenkasse. Auch die Reha-Leistungen sind hier viel besser. Gerade weil viele Corona-Erkrankte unter krassen Langzeitfolgen leiden, brauchen sie die beste Behandlung. Deshalb muss Corona für alle Berufsgruppen als Berufskrankheit anerkannt werden. Riskieren Arbeitgeber die Gesundheit der Beschäftigten, müssen sie auch für die Folgekosten aufkommen. Der Umweg über den Arbeitsunfall ist doch eine Nullnummer. Kaum jemand weiß davon, viele Arbeitgeber wehren ab und die Anerkennungshürden sind viel zu hoch. Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, dass alle Betroffene ihre Rechte kennen. Deshalb brauchen wir unabhängige Beratungsstellen für Betroffene von Berufskrankheiten in allen Bundesländern, wie es sie in Hamburg, Bremen und Berlin schon gibt. “

 

Ergebnisse im Einzelnen:

  • Befragt danach, ob auch Corona-Erkrankungen auch für Beschäftigte anderer Berufszweige, als „im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium“ als Berufskrankheit anerkannt werden, antwortet die Bundesregierung (s. Frage 243):
    • Die Berufskrankheit (BK) Nr. 3101 „Infektionskrankheiten“ schließt auch eine Erkrankung durch Covid-19 ein. Diese BK setzt voraus, dass der Versicherte „im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“.
    • Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hat geprüft, ob nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand weitere Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche außerhalb der bereits in der BK Nr. 3101 genannten ein vergleichbar hohes Infektionsrisiko aufweisen:
      • Seiner Prüfung hat der ÄSVB die aktuelle epidemiologische Literatur sowie Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Häufigkeit von Covid-19-Erkrankungen zugrunde gelegt.
      • Im Ergebnis haben die bisherigen Untersuchungen das deutlich erhöhte Covid-19-Erkrankungsrisiko bei Beschäftigten im Gesundheitswesen bestätigt;
      • jedoch lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt keine anderen Tätigkeiten identifizieren, für die sich konsistent und wissenschaftlich belastbar ein vergleichbar hohes Covid-19-Erkrankungsrisiko gezeigt hat.
    • Gefragt wurde vor dem Hintergrund von Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), wonach Beschäftigte in Erziehungsberufen durchschnittlich die höchste Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen auf Grund einer Corona-Diagnose aufweisen (vgl. Analyse AOK: https://www.aok.de/fk/aktuelles/erzieher-besondersoft-wegen-covid-19-krankgeschrieben/).
  • Befragt danach, was die Bundesregierung unternimmt, um Beschäftigte die sich bei oder auf dem Weg zur Arbeit mit Corona infizieren, über ihr Recht auf Entschädigung durch die gesetzliche Unfallversicherung aufzuklären, verweist diese auf Internet-Seiten, auf denen sich Betroffen informieren können (s. Frage 244):
    • Der Spitzenverband der gewerblichen Unfallversicherungsträger und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), informiert auf ihrer Homepage ausführlich über alle mit dem Thema Covid-19 zusammenhängenden Fragen mit allgemeinen Ausführungen und einer umfangreichen FAQ Sammlung, die sich an Betriebe und Beschäftigte richten. Hier wird ausdrücklich auch auf die Möglichkeit einer Anerkennung als Wegeunfall hingewiesen (https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_arbeitsunfall/index.jsp).
    • Darüber hinaus werden auf die Sonderseiten und Informationen der einzelnen Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) verlinkt (https://www.dguv.de/de/praevention/corona/sonderseiten-corona/index.jsp).
    • Die Frage wurde gestellt vor dem Hintergrund der Aussagen des Deutschen Gewerkschaftsbunds – DGB (vgl. https://www.dgb.de/themen/++co++4a38ec78-3df7-11eb-8d02-001a4a160123), wonach es wichtig sei, Corona-Infektionen bei dem zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden, da die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten der anstehenden Heilbehandlung sowie der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation übernehme, bei geminderter Erwerbsfähigkeit, beispielsweise durch schwere Verläufe oder Spätfolgen, ggf. auch eine Rente bezahle – im Todesfall auch für Hinterbliebene, sowie die Leistungen zur Rehabilitation bei der gesetzlichen Unfallversicherung umfangreicher als die der gesetzlichen Krankenversicherung, seien, insbesondere in Hinblick auf finanzielle Entschädigungsleistungen.
  • Berufskrankheiten Covid-19, Zahl der BK Verdachtsanzeigen, der Anerkennungen und der Anerkennungsquote zum Stichtag bis 31. Januar 2021 (s. Fragen 245 u. 246):
Unfallversicherungsträger Anzeigen Anerkennungen Anerkennungsquote
BG RCI 11 0 0
BGHM 6 0 0
BG ETEM 8 0 0
BG BAU 291 10 3,44 %
BGN 41 1 2,44 %
BGHW 2 1 50 %
BG Verkehr 20 0 0 %
VBG 334 45 13,47 %
BGW 32.743 19.386 59,21 %
Unfallkassen 15.968 8.386 52,52 %
Gesamt 49.424 27.789 56,23 %
  • Mehr als die Hälfte (56,23 %) der angezeigten Berufskrankheiten-Fälle aufgrund von Corona werden anerkannt, mehr als vier von zehn werden nicht anerkannt (43,77 %)
  • Zwei Drittel der angezeigten Corona-Berufskrankheiten (66,25 %) und sieben von zehn Anerkennungen (69,76 %) entfielen auf die Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege (BGW),
  • Außer bei BGW, der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und den Unfallkassen der Länder liegt die Anerkennungsquote niedriger als 15 %.
  • Covid-19 als Arbeitsunfall, Zahl der Unfallmeldungen, der Anerkennungen und der Anerkennungsquote zum Stichtag bis 31. Januar 2021 (s. Fragen 245 u. 246):
Unfallversicherungsträger Meldungen Anerkennungen Ø
BG RCI 15 0 0 %
BGHM 182 40 21,98 %
BG ETEM 125 5 4 %
BG BAU 33 0 0 %
BGN 3.729 588 15,77 %
BGHW 334 2 0,6 %
BG Verkehr 51 21 41,18 %
VBG 583 17             2,92 %
BGW 4 4 100 %
Unfallkassen 8.310 3.863 46,49 %
Gesamt 13.366 4.540 33,97 %

 

  • Jeder dritte gemeldete Corona-Arbeitsunfall wird anerkennt (33,97 %), jeder siebte wird nicht anerkannt (66,03 %)
  • Der meisten gemeldeten Corona-Arbeitsunfälle entfielen mit 8.310 (62,17 % von gesamt) auf die Unfallkassen der Länder, mit 3.729 (27,9 % von gesamt) auf die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) und mit 583 (4,36 % von gesamt) auf die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG),
  • Es wurden um mehr als ein Drittel weniger (27,04 %) Corona-Arbeitsunfälle gemeldet als Corona-Berufskrankheiten angezeigt (13.366 zu 49.424),
  • Die Anerkennungsquote von Corona-Arbeitsunfällen (33,97 %) ist niedriger als die von Corona-Berufskrankheiten (56,23 %)