Stellungnahme zur neuen Tarifvertrags-Richtlinie der IG Metall, die Höchst-Leiharbeitsdauer auf 48 Monate auszuweiten

Politische Beurteilung

Obwohl Arbeitsministerin Nahles (SPD) davon spricht, die Situation der LeiharbeiterInnen mit ihrer Gesetzesnovelle verbessert zu haben, ist die Wirklichkeit eine andere: Sie hätte die Leiharbeit regulieren können, auch ohne dass es eine Öffnungsklausel gibt, und auch so, dass der Bezugspunkt die Arbeitsplätze und nicht die Entliehenen gewesen wären. Somit wäre verhindert worden, dass Entliehene auf Dauerarbeitsplätze rotieren und dass Tarifparteien das selber regeln können. Alle SPD-Abgeordnete, auch die mit „Gewerkschaftsticket“ haben dieser Novelle zugestimmt. Das kritisieren wir scharf.

Mit der Tarifvertrags-Richtlinie Leiharbeit, welche im Wesentlichen die Befristung von LeiharbeiterInnen von 18 auf 48 Monate ausdehnt, hat die IG Metall Führung das Elend vieler LeiharbeiterInnen vergrößert und im Kampf gegen die Leiharbeit wahrscheinlich einen nicht so schnell reparablen politischen Flurschaden angerichtet. DIE LINKE kritisiert, dass damit letztlich ein politischer Hebel gegen die insgesamt neoliberale Politik im Bereich der Arbeitsbeziehungen aufgegeben wird: Tarifpolitik im Interesse der abhängig Beschäftigten sieht anders aus.

Jahrelang ist die IG Metall mit einer Kampagne gegen die Leiharbeit auf gewerkschaftlicher und betrieblicher Ebene mit Hochglanzflyern und teilweise machtvollen Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Leiharbeit zu Felde gezogen.

Nun hat gerade die Führung dieser Gewerkschaft eine Tarifvertrags-Richtlinie empfohlen, die diese Kampagne dahingehend konterkariert, als dass nun die Leiharbeitsdauer auf 48 Monate verlängert werden kann.

DIE LINKE. Baden-Württemberg kritisiert diese Richtlinie aus diesen Gründen:

  1. Leiharbeiter werden noch ausgedehnter zur Verhandlungsmasse zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern gemacht. Unter den Augen und mit Zustimmung der IG Metall-Führung wird die Zwei-Klassen-Belegschaft weiter zementiert. Indem man Normalarbeitsverhältnisse abbaut und die Spaltung der Belegschaften vorantreibt, verbessert man nicht die Arbeits- und Lebensbedingungen abhängig Beschäftigter.
  2. In Zeiten des Wahlkampfs setzt die IG Metall-Führung ein Zeichen, das der Agenda-Politik nur als ein  „weiter so“ verstanden werden kann: Anstatt Leiharbeit zu bekämpfen, begnügt man sich nun damit, selbige tariflich und betrieblich zu verwalten. Anstatt Leiharbeit als Gegenteil von „guter Arbeit“  zum Thema im Wahlkampf zu machen, nimmt man das Thema quasi aus der Debatte: „Wir haben da schon einen Haken dran.“ Konkret bedeutet das, dass man alle Verschlechterungen für Betroffene, die das Hartz-II-Gesetz unter Kanzler Schröder mit sich brachte, mehr oder weniger akzeptiert. Auch die damit verbundene Einschränkung betrieblicher Macht und Verankerung der Gewerkschaften wird abgehakt. Selbst wenn die Tariflösung der Analyse folgt, dass es in absehbarer Zukunft keine Regierungskonstellation gibt, die die Situation in der Leiharbeit verbessert, hätte man damit bis nach der Wahl warten können, anstatt im Vorfeld Zement anzurühren.
  3. Damit macht die IG Metall auch dahingehend Parteipolitik, als dass sie der SPD in Person ihrer Arbeitsministerin Nahles im Wahlkampf Gegenwind erspart. Konkret hätte man von Nahles erwarten müssen, dass sie das Gesetz auf den Leih-Arbeitsplatz umschreibt, nicht bei den Entliehenen als Personen belässt. Linken SPD-Mitgliedern und linken Gewerkschaftern, die eine wirkliche Reform des Hartz-II-Gesetzes wollen, fällt die IG Metall-Führung damit zu diesem Zeitpunkt in den Rücken.
  4. Und damit ist diese Position gemeint: DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass Leiharbeit in einer langfristigen Perspektive verboten wird. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter müssen ab dem ersten Einsatztag in einem entleihenden Unternehmen den gleichen Lohn erhalten, ohne dass ein Tarifvertrag schlechtere Bedingungen vorsehen darf. Außerdem müssen sie zusätzlich eine Flexibilitätsprämie von zehn Prozent erhalten. Damit Betriebs- und Personalräte ihre Aufgaben wahrnehmen können, sollten sie beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht erhalten. Dann könnten sie Nachteile für die Beschäftigten oder Arbeitsplatzverluste verhindern. Zudem sollten Betriebs- und Personalräte Betriebs- und Dienstvereinbarungen abschließen können, in denen insbesondere Einsatzbereiche, Einsatzdauer, Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte oder Übernahmemodalitäten geregelt werden.

 

Gewerkschaftliche Beurteilung

(Anmerkung für Mitglieder der Partei DIE LINKE: In dieser Beurteilung wird auch erklärt, wie diese Richtlinie zu Stande gekommen ist. Eine Erklärung dient dem Verständnis, welchen Logiken und Machtverhältnissen solche Entscheidungen folgen. Das hat aber nichts damit zu tun, diese Logiken bzw. Machtverhältnisse geschweige denn die Ergebnisse verteidigen zu wollen.)

Entstehung der Richtlinie

Es gab in der IG Metall schon seit Beginn tariflicher Regulierung eine ideologische Diskussion darüber, ob die IG Metall etwas, das sie überhaupt nicht will, generell in Tarifverträgen regeln sollen. Die große Mehrheit war der Meinung, dass es auf absehbare Zeit keine Regierungskonstellation geben wird, die Leiharbeit wieder auf einem Stand reguliert, wie er mal war. Anstatt eine Million Beschäftigte sich selbst zu überlassen hat sich die IG Metall entschieden über Tarifverträge die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Auch in dem Bewusstsein, dass es angesichts der kaum vorhandenen Organisationsmacht in dem Bereich der Leiharbeit bestenfalls „Flickwerk“ gibt.

Der neue Tarifvertrag zu den Einsatzbedingungen der Leiharbeit in der Metall- und Elektroindustrie wurde aufgrund der Vorgaben im neuen Gesetz verhandelt, ist aber noch nicht in Kraft. Voraussetzung dafür ist, dass es auch eine Einigung zu den Branchenzuschlägen gibt – diese steht noch aus, die Südwestmetall zickt rum*.

Im noch gültigen Tarifvertrag von 2012 haben Gesamtmetall und IG Metall festgeschrieben, dass nach 24 Monaten ein Angebot zur Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erfolgen muss. Bereits nach 18 Monaten ist durch den entleihenden Betrieb die unbefristete Übernahmen zu prüfen. Diese Regelung soll  weiterhin gelten. Nach der Neufassung des Tarifvertrages muss nun aber in Betriebsvereinbarungen eine Höchstüberlassungsdauer festgeschrieben werden (bisher gab es im Gesetz und Tarifvertrag keine Höchstüberlassungsdauer. Es sind auch im Bereich z.B. der Geschäftsstelle Esslingen keine Betriebsvereinbarung mit einer Höchstüberlassungsdauer bekannt. Dafür gibt’s Regelungen zur Quote (wie viele Leiharbeitnehmer beschäftigt werden dürfen) und zum Angebot eines unbefristeten Arbeitsvertrages (im besten Fall bereits nach 6 Monaten (VwSt. Esslingen)). Die meisten Leiharbeiter haben sich aber trotz Anspruch nicht eingeklagt, falls das Unternehmen kein Angebot gemacht hat, weil sie danach erstmal eine Probezeit im Unternehmen haben und das Risiko einer Kündigung hoch ist). 

Die Höchstüberlassungsdauer kann maximal 48 Monate betragen. Die IG Metall betrachtet eine solche Regelung allerdings als Ausnahme. Eine betrieblich vereinbarte längere Höchstüberlassungsdauer kann dann sinnvoll sein, wenn dadurch Beschäftigtenbedingungen für die Leiharbeitnehmer gesichert werden, die deutlich besser sind als es der Tarifvertrag vorsieht. Dies können zum Beispiel die Gewährung zusätzlicher Zulagen oder Leistungen, die Festschreibung von Leiharbeitsquoten, ein schnelleres Erreichen des Entgeltniveaus der Metall- und Elektroindustrie und eine bessere Eingruppierung sein. Kurz: es ist möglich in Firmen, die ihre Leiharbeiter so gut bezahlen und behandeln, dass diese lieber länger dort bleiben als nach kurzer Zeit in einen Betrieb mit schlechteren Bedingungen zu wechseln. (John Deere, Audi….)

Nach Einschätzung mancher IG Metaller ergänzen die Regelungen des Tarifvertrages das neue Gesetz und nutzen den Leihbeschäftigten. Das Gesetz regelt, dass die Leihbeschäftigten höchstens 18 Monate in einem Betrieb eingesetzt werden dürfen; es regelt allerdings nicht, wie lange ein Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer besetzt werden darf. Damit könnten Zeitarbeitsfirmen das Gesetz mit Rotationsmodellen umgehen, indem sie ihre Beschäftigten spätestens nach 18 Monaten in einem Betrieb austauschen. Der Tarifvertrag sieht dagegen vor, dass Arbeitsplätze nicht dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetzt werden dürfen. Der Betriebsrat hat ein entsprechendes Widerspruchsrecht. Nach dem Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie dürfen die Betriebe ihre Leiharbeiter zwar sechs Monate länger beschäftigen – dann aber sind sie verpflichtet, eine Übernahme anzubieten.

Zitat eines Bevollmächtigten der IG Metall (Mitglied der Linken):

„Was mich von Anfang an geärgert hat, ist genau diese öffentliche Wirkung des Tarifvertrags. Der Gesetzgeber macht ein Gesetz mit 18 Monaten Höchstüberlassungsdauer, er trifft keine Regelung, dass an Arbeitsplätzen die auf Dauer angelegt sind nicht rotiert werden kann und wir haben den schwarzen Peter wegen der Öffnungsklausel auf bis zu 48 Monaten. Obwohl gerade diese Regelung ganz praktisch aus meiner Sicht gar nicht das Problem ist.“

 

Auseinandersetzung innerhalb der Baden-Württembergischen Großen Tarifkommission der IG Metall

In der Tarifkommission schwelt ein Streit zu diesem Tarifvertrag: Auch innerhalb der Betriebsräte und Vertrauensleute zum Beispiel bei Daimler schwelt der Konflikt, dass es Fraktionen gibt, die einen Tarifvertrag zu Zuständen ablehnt, die überhaupt nicht gewollt sind (natürlich hier: Konditionen der Leiharbeit). Die „andere“ Seite sieht für sich als Betriebsräte, die sich auch als Co-Manager verstehen, auch den Vorteil der Reservearmee bzw. Verhandlungsmasse „LeiharbeiterInnen“: Muss Personal abgebaut werden, ist kein Aufstand nötig: LeiharbeiterInnen gehen geräuschlos übern Jordan. „Die eigenen Leute“ bleiben so geschützt. Genau so setzt sich der Streit in der Großen TK fort. Hier kommen dann aber auch noch die Bedenken hinzu, die „schwache Betriebsräte“ bzw. „Belegschaften mit geringem Organisationsgrad“ thematisieren. Also spielt auch dort die Beurteilung eine Rolle, die in anderen Gewerkschaften zu diesem Tarifvertrag herrschen.

 

Beurteilung anderer DGB-Gewerkschaften

Ein NGG-Sekretär (Mitglied der Linken):

„Ich glaube, dass es bei der Frage warum die IG Metall die Tarifvertrags-Richtlinie so unterschrieben hat, wie geschehen, nicht um Seilschaften oder sowas geht sondern um eine gewerkschaftsinterne Logik. Diese orientiert sich an den vorhandenen Gegebenheiten in der Metallerwelt und ist, so ganz nebenbei bemerkt, organisationsintern durchaus umstritten und das völlig zu Recht, weil sehr viel Entscheidungsmacht in die Hand der Betriebsräte delegiert wird. Das birgt Gefahren, vor allem in den Bereichen wo es keine durchsetzungsstarken Interessensvertretungen gibt.

Es gibt ein ‚Erklärungspapier‘ das die anderen DGB Gewerkschaften bekommen haben. Mit diesem wird zumindest versucht die Entscheidungszwänge zu erklären unter denen sich die Führung der Metaller gesehen haben.

Die Bilanz dieses Papiers ist, dass unsere größte gewerkschaftliche Organisation, dieses schlechte Gesetz aus dem Hause Nahles, wie gerade beschrieben, ‚verschlimmbessert‘ hat, wie man so schön sagt.

Deshalb wird die Entscheidung der IG Metall von den anderen Gewerkschaften (mit Ausnahme der IGBCE) sehr kritisch betrachtet. Hierfür will ich nur zwei Gründe benennen. Es wird die gewerkschaftliche Position untergraben, dass Leiharbeit nur einen temporäre Geschichte sein sollte. Darüber hinaus kann es jetzt dazu kommen, dass die Arbeitgeberseite in anderen Branchen versucht Druck auf die Gewerkschaften und Betriebsräte auszuüben ähnliche Regelungen zuzulassen. Wir bei der NGG wollen das nicht, schon alleine deswegen nicht, weil wir eine viel kleinteiligere Betriebsstruktur haben und unsere Betriebsräte in vielen Fällen mit der möglichen Verantwortung, die eine solche Entscheidung mit sich bringt, schlichtweg überfordert sind.

Insofern hat die Entscheidung der IG Metall vor allem einen Schaden angerichtet, nämlich den die geschlossene Position der DGB Gewerkschaften in Sachen Leiharbeit zu unterlaufen. Fraglich ob sich diese noch einmal herstellen lässt.

Deshalb ist unter dem Strich auf alle Fälle das Verhalten der IG Metall Führung zu kritisieren.“

 

Anhang

Stellungnahme Klaus Ernst auf „facebook“ am 19. April

Die IG Metall hat auf ihre Fahnen geschrieben, das Normalarbeitsverhältnis zu verteidigen. In der Praxis schließt sie Tarifverträge ab, die deutlich hinter dem Gesetz zurückbleiben. Das war bisher Methode des Christlichen Gewerkschaftsbundes Metall, aber nicht meiner IG Metall. Ich bin empört!

 

Tarifvertrag schlechter als das Gesetz

Pressemitteilung von Jutta Krellmann, 19. April 2017

„So sieht Stärkung der Sozialpartnerschaft im Hause Nahles aus: Flexibilität ganz im Sinne der Arbeitgeber. Diesen Abschluss hätte ich von Christlichen Gewerkschaften erwartet, aber nicht von der IG Metall. Wenn das Gesetz am Ende besser ist als der Tarifvertrag, dann fragt sich der mündige Gewerkschafter, wozu er eine Gewerkschaft braucht, die solche Tarifverträge abschließt“, kommentiert Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung der Fraktion DIE LINKE, die Einigung zwischen IG Metall und Gesamtmetall, die geltende maximale Verleihdauer von 18 Monaten auf bis zu 48 Monate anzuheben. Krellmann weiter:

„Leiharbeiter werden zur Verhandlungsmasse zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern gemacht. Unter den Augen und mit Zustimmung der IG Metall wird die Zwei-Klassen-Belegschaft weiter zementiert. Indem man Normalarbeitsverhältnisse abbaut und die Spaltung der Belegschaften vorantreibt, verbessert man nicht die Arbeits- und Lebensbedingungen abhängig Beschäftigter.

DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass Leiharbeit in einer langfristigen Perspektive verboten wird. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter müssen ab dem ersten Einsatztag in einem entleihenden Unternehmen den gleichen Lohn erhalten, ohne dass ein Tarifvertrag schlechtere Bedingungen vorsehen darf. Außerdem müssen sie zusätzlich eine Flexibilitätsprämie von zehn Prozent erhalten.

Damit Betriebs- und Personalräte ihre Aufgaben wahrnehmen können, sollten sie beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht erhalten. Dann könnten sie Nachteile für die Beschäftigten oder Arbeitsplatzverluste verhindern. Zudem sollten Betriebs- und Personalräte Betriebs- und Dienstvereinbarungen abschließen können, in denen insbesondere Einsatzbereiche, Einsatzdauer, Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte oder Übernahmemodalitäten geregelt werden.“

 

*= Anmerkung: Die Grundvoraussetzung, dass der Tarifvertrag Wirklichkeit wird, ist, dass die Arbeitgeber dem Katalog der Branchenzuschläge zustimmt. Da ist aber im Moment noch ihre Gier vor.