Die nächste Wendung beim Streit um Streikrecht und sogenannte Tarifeinheit:

Gesetz vorläufig auf Eis

Seit 2010 diskutieren GewerkschafterInnen, Parteien und Arbeitgeber über das Thema der Tarifeinheit. Schon damals drängten die Spitzen von DGB und IG Metall gemeinsam mit dem  Arbeitgeberverband BDA gemeinsam auf eine gesetzliche Lösung. So sollte nur die Gewerkschaft, die in einem Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt, Tarifverträge aushandeln und zu Streiks aufrufen dürfen. Damit wären Gewerkschaften wie die Lokführer-Gewerkschaft,  die Fluglotsen-Gewerkschaft, der DJV (Deutscher Journalisten-Verband, im DGB) faktisch zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Von einem Krankenhaus zum anderen wäre mal der Marburger Bund und mal ver.di das Opfer. In den Krankenhäusern oder bei umstrittenen Firmen wie SAP müssten die Gewerkschaften erst einmal nachweisen, wer mehr Mitglieder hat. So wollte es nach dem Koalitionsvertrag die große Koalition in Abstimmung mit dem DGB  regeln.

Inzwischen jedoch ist die Diskussion an der Gewerkschaftsbasis wieder aufgelebt und es gibt Gegenwind.  Es gab mehrere Konferenzen von Gewerkschaftsaktiven verschiedener linker Strömungen gegen das Gesetz, wie im DGB-Haus Frankfurt am 15. Juni 2014.
Im Mai lehnte der DGB-Kongress ein neues Gesetz ab, „wenn es das Streikrecht einschränkt.“ Ohne Einschränkung des Streikrechts hat die Gesetzesinitiative aber keinen Sinn.  „Wir lehnen unverändert jeden gesetzlichen Eingriff ins Streikrecht ab“, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske Ende Juni 2014.
Von den Gewerkschaftsspitzen hörte man es noch vor Monaten anders.  Man darf sich über die Wendungen an den Spitzen wundern, aber auch freuen.  Sie hatten Folgen.  Noch am 2.7. sollten Eckpunkte des Gesetzes von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)  vom Kabinett verabschiedet werden. Doch der Tagesordnungspunkt wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, teilte das Ministerium mit.
In der Presse stehen dafür verschiedene Begründungen.  Eine ist Widerstand aus der CDU, wo man das geplante Gesetz als Projekt der SPD sieht, der nicht noch weitere neue Gesetze zugestanden werden sollen.  Ein Wortführer ist der Unionsabgeordnete Rudolf Henke, der auch Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist.  Der Widerstand in den Gewerkschaften, insbesondere der Beschluss des DGB-Kongresses, hatte wahrscheinlich noch mehr Gewicht.
Die LINKE, sei es der SprecherInnenrat der AG Betrieb und Gewerkschaft, der MdB Michael Schlecht oder Ende Juni der Vorsitzende Bernd Riexinger, hat sich immer öffentlich gegen das Projekt gewendet und ihre Gewerkschaftsaktivisten haben zu den entscheidenden Resolutionen der Gewerkschaftsgliederungen bis hin zum Beschluss des DGB-Kongresses beigetragen.
Noch ist aber das Vorhaben nicht gescheitert, noch ist nicht Zeit sich zurückzulehnen! Die SPD will es – laut ihrer Generalsekretärin Yasmin Fahimi am 9.7.14 –  weiterhin und Arbeitgeber bleiben an Einschränkungen des Streikrechts interessiert. Bernd  Riexinger hatte am 27.6. im Neuen Deutschland vermutet, hier gehe es um einen »schmutzigen Deal Mindestlohn gegen Beschneidung des Streikrechts«.  Auf diesen Deal wollen die Arbeitgeber nicht verzichten.
Die IG Metall-Spitze äußert sich zweideutig. Jörg Hofmann, der 2. Vorsitzende der IG Metall, hatte Ende Juni das Gesetzesvorhaben kritisiert, aber sein Vorschlag war nicht besser als der von Ministerin Nahles.  Laut  „Tagesspiegel“  sagte er:  Im Gesetz würde der Satz: „Es gilt der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft“ ausreichen.  Dies sei eine „grundgesetzschonende Regelung“.  Aber ein Streik für einen unwirksamen Tarifvertrag hat keinen Sinn. Die Wahrung des Streikrechts sieht anders aus.
Im SPIEGEL vom 6.7.2014 wird angekündigt, nach der Sommerpause komme das Thema wieder hoch.  Deshalb Augen auf und bedenken:  Es braucht insgesamt mehr Streiks in diesem Land, erst recht bei einer drohenden Einschränkung des Streikrechts. Wenn die Regierung Ernst macht, dann werden Protestresolutionen nicht mehr reichen.

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Und hier die Frankfurter Gewerkschafter-Resolution:

Tarifeinheit kontra Streikrecht

Auf Einladung des Aktionsbündnisses „Hände weg vom Streikrecht – für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit“ trafen sich am 15. Juni 2014 im DGB-Haus Frankfurt/Main über 40 KollegInnen verschiedener Gewerkschaften (IG Metall, Ver.di, GEW, IG BCE, Marburger Bund, FAU, IWW, NGG) aus 12 Städten.

Im Mittelpunkt stand die kritische Bewertung des Gesetzesvorhabens „Tarifeinheit“, das nach einhelliger Meinung der auf der Konferenz anwesenden KollegInnen eine schwerwiegende Bedrohung gewerkschaftlicher Aktionsfreiheit ist.

Mit der Festlegung, dass in einem Betrieb nur die „Mehrheitsgewerkschaft“ einen Tarifvertrag abschließen kann, wären andere Gewerkschaften faktisch ihres Grundrechts auf Koalitionsfreiheit beraubt. Denn sie wären an die Friedenspflicht gebunden und könnten nicht für eigene Tarifverträge kämpfen. Dies gilt in Einzelfällen auch für die DGB-Gewerkschaften.

Ein solch schwerwiegender Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften und das  Koalitionsrecht der einzelnen ArbeitnehmerInnen, eines international anerkannten Menschenrechts (!), würde die Kräfteverhältnisse zwischen „Arbeitgebern“ und abhängig Beschäftigten dramatisch verschlechtern.

Wir sehen dies auch im Zusammenhang mit anderen Gesetzesinitiativen und Vorstößen, das Streikrecht einzuschränken, so etwa der Gesetzesinitiative der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung (http://tinyurl.com/lhxkr25) oder dem Vorstoß des Bundestagsabgeordneten und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Arnold Vaatz: „Die Schäden, die ein Arbeitskampf auslöst, müssen im Verhältnis zum Anlass stehen.“ (Stuttgarter Nachrichten vom 2.4.2014.)

Der DGB hat auf seinem Bundeskongress im Mai d. J. zwar gesetzliche Eingriffe in Koalitionsfreiheit und in das Streikrecht abgelehnt, aber wirklich distanziert vom Projekt Tarifeinheit hat er sich nicht. Der DGB-Vorsitzende formulierte in seiner Rede ausdrücklich: „Jetzt wissen wir alle, was die Schwarz-Rote-Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Sie will die Tarifeinheit stärken. Da kann ich sagen: Dieses politische Ziel werden wir natürlich nachhaltig unterstützen [!]. Wir brauchen eine Stabilisierung der Tarifeinheit [!]. Wenn die Große Koalition uns dabei helfen will, dann nehmen wir dieses Angebot zur Hilfe natürlich an.“

Deswegen stimmen wir dem Arbeitsrechtler Dr. Rolf Geffken (Hamburg) zu, wenn er auf unserer heutigen Tagung ausführte:

„Zur Sicherung des Streikrechts gehört, dass man kampfbereiten jungen Gewerkschaften nicht durch Statusverfahren die Existenz zerstört oder ihre Gründung dadurch verhindert. Die Koalitionsfreiheit ist unteilbar. Wenn traditionelle Gewerkschaften aufgrund einer falschen Politik Mitgliederverluste erleiden, sollten sie durch eigene Aktivitäten einem solchen Trend entgegenwirken, nicht aber alternative Gewerkschaften durch juristische Mittel zu bekämpfen trachten. Solche Maßnahmen richten sich letztlich gegen die Kläger selbst.“

Wir meinen deshalb: In nächster Zeit ist eine breite Kampagne der Aufklärung und öffentlichkeitswirksamer Aktionen erforderlich, um den Widerstand gegen dieses Gesetzesvorhaben zu verbreitern. Denn die Haltung der DGB-Gewerkschaften muss sich radikal ändern: Aus stillschweigender Duldung oder gar Zustimmung muss aktiver Widerstand werden.

Die Anwesenden auf dieser Konferenz sind sich einig:

  • · Der Angriff auf das Grundrecht Koalitionsfreiheit ist kein Thema, das nur Gewerkschaften angeht. Es ist eine Bedrohung, die in ihrer Konsequenz alle Lohnabhängigen betrifft.
  • · Eine Einschränkung des Streikrechts begreifen wir als eine elementare Herausforderung, die eine massive Gegenwehr erfordert. Neben den Gewerkschaften braucht es ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis.
  • Entscheidend für die Sicherung des Streikrechts ist die tatsächliche Wahrnehmung dieses Rechts. Deshalb machen wir uns stark für die Losung: Es braucht insgesamt mehr Streiks in diesem Land, erst recht bei einer drohenden Einschränkung des Streikrechts, dann nämlich werden Protestresolutionen nicht mehr reichen.

Frankfurt, den 15. Juni  2014